
Mein Kind ist schon fast 2 Jahre und spricht nicht oder sehr wenig
Wenn ein Kind mit 18 Monaten oder älter noch kaum oder gar nichts spricht, ist es erst einmal kein Grund zur Panik. Trotzdem sollten Sie Ihr Kind genauer beobachten. Es gibt einen medizinischen Richtwert, der sich die Altersgrenze von 2 Jahren anschaut. Hat ein Kind den 2. Geburtstag erreicht und spricht noch keine 50 Wörter und macht auch keine Wortkombinationen wie z.B. “Papa Auto”, “Mimi au”, wird es als so genannter Late Talker eingestuft.
Mit einem Late Talker ist ein Kind gemeint, das eben sehr spät zu sprechen beginnt. Später, als andere in demselben Alter. Ist das schlimm oder besorgniserregend? Ich würde sagen, grundsätzlich nicht. Denn Vergleiche in diesem Alter sind immer schwierig, wenn man bedenkt, wie schnell ein Kind in einem Monat etwas dazu lernen kann. Und jedes Kind entwickelt sich individuell, das ist ganz klar. Allerdings hat man beobachtet, dass nicht alle Late Talker den Sprachrückstand problemlos aufholen. Nur 50% der Late Talker holen den Rückstand auf und entwickeln sich anschließend sprachlich normal. Man spricht von so genannten Late Bloomern, also späten Aufblühern; Kinder, die wieder aufholen. Die anderen 50% schaffen es nicht und entwickeln sprachliche Probleme in irgendeiner Form: z.B. geringer Wortschatz, Sprachverständnisstörung, Auffälligkeiten in der Grammatik oder im Satzbau, Probleme mit der Aussprache oder Vertauschen von Lauten.
Deshalb ist es wichtig, dass man Eltern, die ein Kind haben, das noch nicht oder wenig spricht mit 2 Jahren, mit Ihren Sorgen Ernst nimmt. Und was noch viel wichtiger ist: Das Kind, das noch wenig oder nicht spricht, sollte genauer beobachtet werden. Denn wenn ein Kind Sprache für sich noch nicht entdeckt hat, sind gewisse Fähigkeiten, die für die Sprachentwicklung wichtig sind, noch nicht ausgeprägt. Ich spreche von so genannten sprachlichen Vorläuferfähigkeiten. Sprache ist meist nur die Eisbergspitze, anhand derer festgestellt wird, dass etwas noch nicht so gut entwickelt ist.
Welche Probleme Late Talker Kinder eigentlich haben
Meist haben Late Talker Kinder in folgenden Dingen Probleme:
- Ein Spiel zu Ende spielen. Sich auf ein Spiel einlassen. Spielsachen werden meist nur kurz angeschaut und sofort wieder beiseitegelegt. Kinder interessieren sich wenig dafür, wie ein Spiel funktioniert.
- Symbolisch spielen. Spielfiguren werden genommen und mit ihnen eine Handlung ausgeführt. Z.B. wird der Stofftierhase verarztet oder die Puppe gefüttert. Oder ein Spielzeugauto wird in die Waschanlage geschoben, weil es vom Fahren so schmutzig geworden ist. Genau das fällt Late Talker Kindern schwer.
- Das Handlungsergebnis erfassen. Jede Handlung hat ein Ergebnis. Das Spielzeugauto wird in die Waschanlage geschoben. Anschließend ist klar, dass das Auto sauber ist. Es gibt ein Ergebnis. Oder die Puppe wird gefüttert und nun ist sie satt und sie will nichts mehr essen. Damit können Late Talker oft nichts anfangen.
- Spielen können. Sich auf ein Spiel einlassen. Einen Spielgegenstand ausprobieren und eine Spielidee entfalten. Hier sind durchaus freie Spiele gemeint. Z.B. ein Bagger steht auf dem Boden. Er wird beladen, irgendwohin gefahren, vielleicht muss er auf eine Baustelle. Oder das Stofftierkrokodil liegt auf dem Boden, es hat Zahnweh und muss zum Doktor.
- Mit einem anderen Mitspieler spielen (z.B. mit Ihnen als Elternteil). Für ein gemeinsames Spiel braucht es ein Gegenüber. Das Kind sollte Sie als Mitspieler akzeptieren können. Sie dürfen z.B. beim Baggerspiel den Bagger empfangen und ihm zeigen, wo er alles entladen soll. Oder Sie sind der Doktor und verarzten das Krokodil. Oder Bauklötze liegen am Boden und es wird gemeinsam ein Turm gebaut. Late Talker sind eher mit sich selber beschäftigt und gehen wenig auf einen Mitspieler und dessen Spielideen ein.
Das sind “nur” ein paar wesentliche Fähigkeiten, die bei Late Talker Kindern oft schwach ausgeprägt sind und weshalb sich auch Sprache infolge nicht so gut entwickelt. Denn für die Sprachentwicklung sind genau diese Fähigkeiten entscheidend.
Was es für die Sprachentwicklung braucht
Ein Kind muss wissen, dass es Mitmenschen gibt, denen man etwas mitteilen möchte und mit denen man sich über die verschiedensten Dinge des Alltags unterhalten kann. Genauso wichtig ist es zu wissen, dass jede Handlung zu einem Ergebnis führt. Wenn ich mit einem Strich auf dem Papier male, ist Farbe auf dem Papier zu sehen. Ich habe mit dem Stift etwas bewirkt. Auch das benötigt man fürs Sprechen. Mit meinen Aussagen erziele ich eine Wirkung. Es gibt immer einen Grund, warum man etwas sagt oder auch nicht sagt. Das ist Kommunikation. Und dann ist noch entscheidend, dass man ein gewisses Symbolverständnis hat. Und gerade das zeigt sich im symbolischen Spielen. Spielideen kreieren, mit Figuren eine Idee ausführen. Das können ganz kleine Geschichten sein. Z.B. Der Stofftierhund ist hungrig, wird gefüttert und ist anschließend satt. Es handelt sich um keinen echten Hund; nur symbolisch. Warum ist das so wichtig? Für Sprache benötigt man auch ein Symbolverständnis, denn sprachliche Zeichen sind letztlich nichts anderes als Symbole. Das Wort Hund bedeutet nur etwas, weil wir (deutschsprachigen) Menschen diese Bezeichnung zu dem Tier Hund abgespeichert haben. Es hätte auch Puki oder ein anderes Wort sein können.
Fazit
Es lohnt sich auf alle Fälle genauer hinzusehen und ein Kind zu beobachten, das noch nicht so ins Sprechen gekommen ist. Eltern sind oft besorgt und wissen nicht, wie lange es Sinn macht, abzuwarten, bis die ersten Wörter kommen. Häufig wird auch das Bedenken geäußert, ob mit dem Kind alles in Ordnung sei, was die gesamte kognitive Entwicklung betrifft. Eltern können auf alle Fälle etwas tun und müssen nicht abwarten. Gerade wenn sie feststellen, dass vielleicht grundlegende sprachliche Fähigkeiten, wie oben beschrieben, noch nicht so ausgebildet sind, können sie diese fördern und so dem Kind zu mehr Sprache verhelfen.