
Obwohl das Sprachverständnis in den letzten Jahren mehr Aufmerksamkeit bekommen hat, wird dem Sprachverständnis meist weniger Bedeutung zugemessen als der Sprachproduktion. Dabei ist es mindestens genauso wichtig, wieviel und ob ein Kind versteht als wieviele Wörter es aktiv spricht.
Sprachverständnis verlangt komplexe kognitive Fähigkeiten
Wenn es ums Sprachverständnis geht, wird einmal mehr deutlich, dass Sprache kein isolierter Baustein in unserem Kopf ist. Die Verarbeitung von Sprache verlangt komplexe kognitive Fähigkeiten. Es schließt z.B. mit ein, dass ein Kind Wissen über die Dinge der Umwelt hat, dass es Wissen von sich selber und seiner Wahrnehmung hat, dass es den anderen als Gesprächspartner erkennt, dass Wörter nur Symbole sind und sich auf Dinge beziehen, die in der Umwelt vorhanden sind, dass man jemanden anschaut beim Sprechen, dass man sich beim Sprechen abwechselt, dass man im Kopf ein Bild von einem Gegenstand bilden kann, uvm.
Das Sprachverständnis zeigt sich anhand verschiedener Reaktionen, je nach Alter und Entwicklungsstatus des Kindes. Bereits am Ende des ersten Jahres lässt sich erkennen, ob ein Kind Sprachverständnis entwickelt oder nicht. In dieser Phase wird der referentielle Blick oder trianguläre Blickkontakt (Dreiecksblick) erworben. Das Kind schaut auf ein Objekt und auf eine Person, mit der es interagiert. Es entsteht ein Dreieck zwischen dem Kleinkind dem Gegenstand und der interagierenden Person. Kinder mit Sprachverständnisproblemen zeigen diesen Blick nicht; schauen also nicht auf den Gegenstand und/oder nicht auf den Interaktionspartner. Sie stellen keinen Bezug zwischen einem Wort (z.B. Wortlaut Apfel) und dem bezeichneten Gegenstand (z.B. Objekt Apfel) her, verstehen also nicht was mit Wörtern gemeint ist. Diese Kinder lernen Sprache oft verspätet. Auch eine erste Art des Fragens, was Kinder durch Objekte zeigen (z.B. Kind zeigt Mama einen Apfel und Mama antwortet “Ui, einen Apfel hast du da”) und Objekte geben ausdrücken, bleibt aus.
Sprachverständnisprobleme im 2. Lebensjahr
Ein ganz entscheidender Moment für den Spracherwerb ergibt sich um die 18 Monate. Kinder lernen, dass sie mit ihren Handlungen etwas bewirken. Sie malen z.B. einen Strich auf das Papier und erkennen, dass das Blatt nicht mehr ganz weiß ist und dass sie dafür verantwortlich waren. Das zeigt sich auch in der Sprache. Kinder lernen, dass sie mit Wörtern etwas bewirken können. Wenn sie ein Wort (z.B. Apfel) aussprechen, werden sie vom Gegenüber (meist) verstanden und das Gegenüber führt dann im Idealfall eine Handlung aus (z.B. die Mama gibt dem Kind einen Apfel). Kinder mit Sprachverständnisproblemen verstehen in diesem Alter Wörter meist nur in der Situation, aber nicht darüber hinaus. Sie verstehen das Wort Teddy, wenn gerade mit Kuscheltieren gespielt wird und der Teddy im Raum ist, wissen aber nicht, dass der Teddy gemeint ist, wenn die Mama vom Teddy spricht und der Teddy gar nicht Teil des Spiels ist (z.B. wenn die Mama erzählt, dass der Tiger, mit dem sie spielen, genauso braun ist wie der Teddy). Aber genau das ist ein entscheidender Entwicklungsschritt in der Sprachentwicklung. Denn das macht Sprache aus: dass wir über Dinge, Situationen, Erlebnisse usw. sprechen, die nicht gerade im Raum sind.
Sprachverständnisprobleme im 3. Lebensjahr
Treten Sprachverständnisprobleme im 3. Lebensjahr auf, so zeigen sich diese gern in einer Schlüsselwortstrategie. Kinder haben dann eine Strategie entwickelt, wie sie das Gesagte besser verstehen können. Sie orientieren sich an bestimmten Wörtern und suchen dann nach Handlungen, die typischerweise dazu passen, aber nicht unbedingt zur aktuellen Situation passen müssen. Die Mama fordert beispielsweise das Kind auf, ihr den Traktor zu bringen. Das Kind weiß, dass es oft gebeten wird, den Traktor aufzuräumen und stellt ihn ins Spieleregal, anstatt ihn der Mama zu bringen. Das Kind versteht also Traktor und assoziiert damit eine typische oder bekannte Handlung, die es dann ausführt.
Auch am häufigen Ja-Sagen erkennt man Kinder mit Sprachverständnisproblemen in diesem Alter. Sie antworten meist mit Ja, damit sie dem Gegenüber zu verstehen geben, sie hätten verstanden und wollen das Gegenüber zum Weitererzählen oder Weiterspielen animieren.
Genauso gut kann es sein, dass Kinder häufig wiederholen, was der Interaktionpartner gesagt hat. Die Wiederholungen treten auffällig häufig auf und sind meist die letzten Worte des Gesagten.
Auch wenn Kinder mit Sprachverständnisproblemen meist lernen, Sätze zu bilden, kann das Sprachverständnis auffällig bleiben. Im Alter von drei bis vier Jahren ist das z.B. dadurch zu erkennen, dass Kinder Sprache nicht wirklich gebrauchen, um etwas zu erreichen, sich mitzuteilen oder auf das Gesagte des Gegenübers einzugehen. Sie verwenden Sprache meist handlungsbegleitend, erzählen also zu dem, was sie gerade tun. Auch Fragen bleiben meist aus.
Sprachverständnisprobleme im Vorschulalter
Bleiben Sprachverständnisprobleme bis ins Vorschulalter bestehen, zeigt sich das mitunter im eingeschränkten Spielverhalten. Kinder können beim Spielen nicht so gut auf die Spielidee ihrer Spielpartner eingehen, weil sie oft nicht verstehen, was diese meinen. Im Morgenkreis im Kindergarten sitzen sie oft unruhig auf dem Stuhl und es fällt ihnen schwer, den Erzählungen der Erzieherin zu folgen. Eine Geschichte kann so gar nicht spannend werden. Im freien Spiel zeigen sich Kinder unruhig und sprunghaft, brechen Spiele häufiger ab, wechseln von einem Spiel zum anderen (so genannte Spielabbrüche) und tun sich insgesamt schwer, sich auf ein gemeinsames Spiel mit ihren Gleichaltrigen einzulassen.
Sprachverständnis wird von Schulkindern benötigt, um Lernstoff zu erfassen. Die Inhalte werden mündlich wie schriftlich in längeren Erklärungen oder Erzählungen präsentiert. Damit das Erzählte aufgenommen werden kann, ist v.a. Dingen ein kohärentes Sprachverständnis nötig. Das Kind muss fähig sein, die einzelnen Inhalte miteinander zu verknüpfen und als Gesamtes zu verstehen. Sprachverständnis ist demnach absolut wichtig für die Schule. Gerade, wenn es um Schulreife geht, sollten nicht nur die Sprachproduktion sondern auch das Sprachverständnis genau beobachtet werden.
[…] herzustellen. Hier beginnt der passive Wortschatz im klassischen Sinn und macht einen Großteil des Sprachverständnisses […]